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Die Stadt, die niemals endet

Tokio, Shibuya Main City Hall. 5. Stock eines Einkaufshauses. Ich sitze in einem Bus. Nein, ich habe auch noch keine Vorstellung davon wie das gleich funktionieren soll. Springen wir vielleicht vom Dach, fahren wild durch die Stadt und driften durch die Shibuya Kreuzung wie einst Han in Tokyo Drift? Oder fahren wir mit dem Bus den Aufzug runter? Ich sitze ratlos da und lausche den Anweisungen des Busfahrers – auf japanisch. Irgendwann kommt er zu mir, schaut mich an und meint dann: „Traffic jam. One hour over.“ Ich verstehe und er verbeugt sich entschuldigend – geradezu als sei er höchstpersönlich für die Verspätung verantwortlich.

Hinter mir liegen meine letzten Tage in Tokio und eine grobe Planung für meine Reise. Nachdem ich entsetzt feststellen musste, was Fortbewegung in Japan kostet, entschied ich mich gegen eine Zugreise (ca. 500€ für 21 Tage) und dafür, die deutlich günstigeren Busse zu nutzen (5 Nachtbusse für ca. 150€). Diese werden mich zunächst nach Fujiyishado nördlich des Mount Fuji bringen, von wo aus ich mir schöne Blicke auf den höchsten Berg Japans, der gleichzeitig ein aktiver Vulkan ist, erhoffe. Die Region ist außerdem für fünf benachbarte Seen bekannt.

Von dort aus reise ich nach Osaka und weiter Richtung Süden. Die Stadt Kyoto, die eigentlich direkt neben Osake liegt, werde ich auf meiner Rückreise besuchen, weil ich sie zwangsweise nochmal passieren muss.

Nachdem ich meine Planung vorgestern Abend „abgeschlossen“ hatte (für meine Art zu reisen ist das schon sehr weit im Voraus geplant), gesellte ich mich zu einer Gruppe amerikanischer Studenten – größtenteils aus Wisconsin – die durch Japan reist und dabei japanischen Schülern Englischunterricht gibt. Wir unterhielten uns lebhaft über ein absolut studentisches Lieblingsthema – Bildungsmöglichkeiten in verschiedenen Nationen. So ist das nun Mal in Hostels. Man bereist Japan und lernt das amerikanische Hochschulwesen kennen.

Der nächste Morgen hielt eine überraschende Premiere für mich bereit. Dass Japaner ganz schön ruhig sind, erwähnte ich bereits. Als einer der Einheimischen neben mir relativ hörbar nieste, erkannte ich, dass das das erste Mal während meiner Reise war, dass ich Zeuge dieses Phänomens wurde. Nach drei Tagen in einer Millionenmetropole. Kein Scherz.

Mir stand weiterhin ein ziemlich touristischer Tag bevor. Ich wollte die Hamarikyu Gärten erkunden (nicht wirklich spannend) und besuchte den höchsten kostenlos zu erreichenden Ort der Stadt. Die Aussichtsplattform des Metropolitan Government Buildings (sehr spannend!). Aus über 200m Höhe musste ich entsetzt feststellen, dass diese Metropolregion nicht umsetzt als größte der Welt gilt. Vor dem sprachlosen Beobachter baut sich eine Stadt auf, die in alle Richtungen die Sicht bis zum Horizont füllt. In eine Richtung sieht man weit entfernt einzelne Berge, die vermutlich nicht mehr besiedelt sind, aber davon abgesehen ist diese Gebäudewüste unüberblickbar. New York mag die Stadt sein, die niemals schläft. Tokio ist die Stadt, die niemals endet!

Sollte diese Stadt tatsächlich so etwas wie ein Ende haben, ist es mir zumindest hier nicht ersichtlich.

Noch bedeutend spektakulärer wird der Ausblick bei Nacht. Was zuvor als Dächer zu erkennen war, verschwimmt in einem Lichtermeer, das abermals die ganze Sicht einnimmt. In alle Richtungen sieht man die roten Leuchten der Häuser, die sie für Flugzeuge sichtbar machen. Die Lichter gehen weit in die Ferne, bis sie irgendwann im Dunkel der Nacht verschwinden. Mir fehlen in diesem Moment die Worte.

Rote Lichter bis an den Horizont.

Ein paar Bilder später fahre ich die 45 Stockwerke des Metropolitan Governement Buildings wieder hinab – die markanten Zwillingstürme gehören übrigens zum Rathaus der Stadt – und gehe langsam in eine Richtung, aus der ich von oben helle Lichter und viele Reklametafeln gesehen habe. Aus dem Gebäude raus, nach rechts weg, dann links – plötzlich finde ich mich in Shinjuku, Zeuge japanischer Kuriositäten, wieder. Das von Elektronikgeschäften übersäte Viertel scheint vor allem zum Ausgehen beliebt zu sein. In Karaoke-Bars trällern die sonst so schüchtern wirkenden Einheimischen eigenartige Lieder ins Mikrofon und in riesigen Spielhallen sammeln sie sich an bunten Automaten, um umgeben von grellem Licht, quietschigen Durchsagen und Figuren, die an Tamagotchi erinnern ihr Glück zu versuchen. Die Straßen dazwischen sind heller erleuchtet als bei uns so mancher Raum.

Japaner fahren total auf eigenartige Automaten ab.
Hier wird die Bestellung zum Roulette.

Ich werde hungrig und gehe in eines der originellen Lokale. Diese erkennt man in einem gerne von Touristen besuchten Viertel wie diesem daran, dass sie weder eine Karte, noch Aushänge auf Englisch anbieten. Meist reicht ein Bild und ein glücklicherweise auch in arabischen Ziffern geschriebener Preis, um sich an einem der Automaten ein Gericht zu bestellen. Diese modernen Kellner spucken gegen Bezahlung ein Ticket aus, das man an der Theke einlösen kann, um sich eine Schale mit Reis oder Nudeln und Rinderfleich, Gemüse oder Meeresfrüchten zu besorgen. Wasser und grünen Tee gibt es für gewöhnlich kostenlos dazu.

Ich betrete also das Lokal und finde wie immer einen Automaten und die Theke, an der Menschen zum Essen Platz nehmen. Doch dieses Mal ist es irgendwie anders als sonst. Schnell erkenne ich, welcher Fehler sich hier eingeschlichen hat. Der Automat hat keine Bilder. Englische Übersetzungen sowieso nicht. Na super! Ich evaluiere die Preise der Gerichte und entscheide mich für eines, das 420 Yen kostet. Mit dem Bon gehe ich zur Theke, löse ihn ein und warte gespannt auf mein Essen. Es gibt an diesem Tag Nudeln mit Gurken und pink-weißen Streifen. Letztere sehe aus und schmecken ein wenig als seien sie aus dem Meer, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Immerhin schmeckt es.

Auf die Minute genau fährt mein Bus vom 5. Stock der Shibuya Main City Hall ab. Dass japanische Verkehrsmittel mit Pünktlichkeit besser zurechtkommen als etwa die Deutsche Bahn ist wirklich nicht überraschend. Wir fahren ein wenig auf dem Dach entlang und gelangen über eine kurze Rampe auf die Straße. Bin ich nicht gerade eben noch 5 Rolltreppen hochgefahren, um hier her zu kommen? Ich bin verwirrt. Ein riesiger Aufzug hätte mich weitaus weniger überrascht.

Wenige Stunden später kommen wir in Kawaguchiko an. Es regnet in Strömen. Der Busfahrer entschuldigt sich.

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