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Die erste bescheidene Idee…

50 Kilometer in zwei Tagen. Nicht beeindruckend? Wartet’s ab…

Paar Schritte zurück zu John und meinem Couchsurfing-Abenteuer. Sprich zurück zum letzten Wochenende.

Dass John in seinem Trainingsstudio lebt – siehe letzter Beitrag – war mitnichten eine Übertreibung. Der Boden belegt mit Weichbodenmatten, nebendran ein paar Stühle und irgendwo eine Küche sowie zwei Toiletten und eine Dusche – das wäre mal das Erdgeschoss. Zwischen Schlagstock und Langschwert. Pratze und Boxsack. Nunchuk und Speer. Welch‘ gemütlicher Ort…

Den Samstag – ich hatte es ja schon angekündigt – haben wir zunächst mal auf einem Kungfu-Event verbracht. Das ging von Kleinkindern, die sich irgendwie aus dem Ring zu drücken versuchen, bis hin zu Erwachsenen Schwarzgurten bei denen….naja, bei denen die Sache eben schon wieder anders aussieht. Irgendwo da drin fand sich ein komischer Typ, der mit einer Kamera durch die Halle geturnt ist und Bilder gemacht hat – meine Wenigkeit. Und weil ich das mit dem durch-die-Halle-turnen-und-Bilder-machen so toll gemacht habe, hat mich John abends zum Abendessen eingeladen.

Einen Tag später habe ich dann mal die Gegend unsicher gemacht (gut, eigentlich bin ich nur rumgelaufen) und fand irgendwann (2-3h zu Fuß von John’s Wohnung weg) einen geilen Platz für einen Blick auf die Skyline. Die Bilder dazu findet ihr wie immer oben in der Galerie.

Weil ich die eben genannte Strecke nicht vollständig zurücklaufen wollte, entschied ich mich, wieder zu hitchhiken. Blöd war nur, dass ich mir an der Stelle der geilen Skyline nichts Geringeres als den Sonnenuntergang angesehen hatte und so durfte ich schon schnell feststellen, dass bei alleinreisenden Jungs ohne Gepäck in der Dunkelheit mitten in der Stadt auch die neuseeländische Freundlichkeit irgendwo ihre Grenzen kennt.

Am kommenden Tag – es war schon wieder Montag – bewegte ich mich im Sinne der Jobsuche – ja, das Interview am Freitag hat zu einer Absage geführt – wieder raus aus Takapuna – ein kleiner Vorort Aucklands, in dem u.a. auch das Studio von John ist – und rein in den CBD, den Central Business District von Auckland. Folge dieser Aktion war, neben der Tatsache, dass ich wieder Neuankömmlinge kennenlernte und mit ihnen das Standardprogramm à la Hafen, Mount Eden usw. durchmachte, dass ich mir zwei Jobinterviews sichern konnte. Bei UNICEF und Greenpeace…

 

So, dann aber mal ganz schnell wieder raus aus der Großstadt und ab ins Abenteuer. So eines wartete nämlich auf mich. 50 Kilometer in zwei Tagen, ihr wisst schon.

Wir schreiben Mittwoch. Den Mittwoch vor zwei Tagen. Nachdem ich wieder einmal super früh aufgestanden war, nahm ich den Bus in Richtung Thames.

Thames ist ein kleiner Ort östlich von Auckland, der zumindest im Winter unheimlich verschlafen ist und einer Westernstadt verdammt ähnlich sieht. Er ist vor allem als Ausgangspunkt für Wanderrouten bekannt.

Um zu diesen Wanderrouten zu kommen, muss man einer 22 Kilometer langen Straße ins Nichts folgen. Wirklich befestigt ist sie ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr und außer ein paar Farmen (am Anfang dieser Straße) und einigen Backcountry-Campingplätzen ist sie Verlassen wie Lothar Matthäus Ex-Frauen nach der Trennung von der Fußballlegende.

Schon in Thames selbst war mir klar, dass ich diese Straße nicht entlanglaufen will. Also ab zur nächsten Straße und Daumen raus. Nach so ungefähr 10 Minuten hält John (nein, nicht der John), der mir netterweise anbietet, mich aus der Stadt raus zu bringen. Als ich ihm erkläre, in welche Richtung ich eigentlich will, stockt er zwar kurz, aber nimmt den Umweg auf sich und bringt mich dorthin, wo die 22 Kilometer lange Straße den Ort verlässt. 19 Km verbleibend.

Mein schlauer Plan ist recht leicht. Die Straße entlang laufen und bei jedem Auto, das vorbei kommt den Daumen raus. Die Erfolgschancen dabei sind gering, weil so ca. alle 10-20 Minuten mal ein fahrbarer Untersatz inkl. Fahrer vorbeikommt. In meinem blanken Optimismus hoffe ich aber, dass ich auch die Straße und die darauf folgenden Wanderwege entlanglaufen kann, bevor die Dunkelheit eintrifft. Schließlich ist ja erst 13 Uhr.

Ich habe Glück. Als ich so ca. 2 Kilometer gelaufen bin hält neben mir ein Auto. Der Fahrer – Ron, ein älterer Herr von ca. 70 Jahren – bietet mir an mich bis zum Information Center – nach meinen Berechnungen am Ende dieser Straße – zu fahren. Während unserer Odyssee durch’s Nirgendwo erzählt er mir einige Geschichten aus der Gegend. Die Berge, durch die wir fahren, waren vor langer Zeit noch vollkommen mit Wälder bedeckt. Als man den Wert des dort wachsenden Holzes feststellte, begann man, ein riesiges System aus Holzabbaumöglichkeiten zu formatieren.

Noch mehr Menschen kamen jedoch aus einem ganz anderen Grund in das kleine Örtchen Thames bzw. die umliegenden Berge. Hier fand im 19. Jahrhundert ein Goldrausch statt, der selbst den amerikanischen in den Schatten stellte. Unzählbar viele Arbeiter suchten hier ihr Glück und auch sie hatten schnell ein System erstellt.

Nach einer zehn Kilometer langen Fahrt kamen wir bei der Information an. Was ich an dieser Stelle noch nicht wusste, mir aber später schnell klar wurde, war, dass Ron mir auf gut Deutsch den Arsch gerettet hatte. Ohne ihn hätte ich die Nacht entweder auf einer verlassenen Straße oder inmitten eines Waldes verbracht. Meine Kalkulationen waren vollkommen fehlgeschlagen und nur durch Rons Hilfe konnte ich später die Wanderung durch die Dunkelheit um Haaresbreite vermeiden. Leute, wenn ihr Hitchhiker seht, dann nehmt sie mit! Das kann ihnen viel bedeuten.

An der Touristeninformation informierte ich mich über die aktuelle Lage. Mein Ziele – das stand schon bei meiner Abreise in Auckland fest – waren die Pinnacles. Das ist eine Steinformation an der Spitze des wohl höchsten Berges der Region, von der aus man eine unglaubliche Aussicht auf die Region hat. Bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Kurz vor den Pinnacles liegt der Pinnacles Hut. Die detaillierte Beschreibung dazu folgt später, aber zunächst ein Mal war es für mich die einzige Möglichkeit, sicher zu übernachten. Eine Art Matratzenlager in den Bergen. Die Nacht dort bezahlte ich im Information Center und machte mich auf meinen Weg. Mit 18 Kilogramm auf dem Rücken. Und 6-7 Kilogramm Essen unter den Arm geklemmt.

Dass das Information Center am Ende der vorher beschriebenen Straße liegt, war eine Fehleinschätzung meinerseits. Vielmehr machten mir die nette Dame an der Information und mein Handy klar, dass es noch 3,3 Kilometer bis zum Beginn der Wanderwege und von dort noch 3h bis zum Pinnacles Hut waren. Kurz vor 14 Uhr, noch 4,5 Stunden bis zum Sonnenuntergang.

Die 6,6 Kilometer bis zum Beginn der Wanderwege waren noch nicht das Problem. Einer Kiesstraße zu folgen ist eine nette Wanderung, die auch mit knappen 25 Kilogramm Gepäck machbar ist. Gut, ein wenig ärgerte ich mich über einige Traveler, die mit ihren Campervans offensichtlich zu einem der vielen Campingplätze fuhren und mich nicht mitnahmen, aber ich beeilte mich, sodass ich gut in der Zeit war, als ich noch gut gelaunt, aber ein wenig erschöpft am Beginn der Wanderwege ankam. 3 Stunden bis zum Pinnacles Hut. Pause? Ausgeschlossen.

Die „Wanderwege“ – das stellte ich schnell fest – sind mit diesem Begriff eigentlich unheimlich schlecht beschrieben. Unter einem Wanderweg verstehe ich meist befestigte Wege, die gemütlich von A nach B führen. Die Pfade dort führten durch Schlamm, über Bäche und Flüsse und unzählige Treppenstufen mit mindestens 30 cm Höhe hinauf. Oft blieb ich mit meinem Rucksack an irgendeinem Baum hängen oder verlor bei dem Versuch, ein Gewässer über die aus dem Wasser ragenden Steine zu überqueren die Balance und konnte mich nur kurz vor dem Sturz in den Gebirgsbach wieder fangen. Immer im Wettrennen gegen die Zeit. Gegen die Sonne. Gegen die Dunkelheit.

Treppe hoch, Kurve, Treppe hoch, Bach, Kurve, Steinweg, Treppe hoch…..Mit dem Gepäck eine nervenauftreibende und vor allem unglaublich anstrengende Unternehmung. Ohne die rettenden Pausen kam ich irgendwann an den Punkt, an dem der Kopf sagt, dass es nicht weiter geht. Woran man das merkt? Nun ja, wenn man anfängt auf geraden Wegen zu schwanken, Treppen hochzustolpern und Pflanzen mit weißen Blättern für einen Moment mit Zebras zu verwechseln, dann ist man entweder an der geistigen Belastungsgrenze oder sturzbesoffen. Ich hatte schon länger keinen Alkohol mehr getrunken….

Immer weiter, ein Fuß vor den anderen. Ich sah, wie sich die Sonne Richtung Bergspitze neigte und gönnte mir kein Anhalten. Eine Pause hätte nicht nur Zeit gekostet, sondern meinem Körper auch einen Stopknopf gegeben. Immer weiter.

Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die einen freuen können. Über eine Übernachtungsmöglichkeit hatte ich mich noch nie zuvor gefreut, aber als ich in der Ferne ein Gebäude sah, war das ein erlösendes, gar euphorisches Gefühl. Warme Dusche, Essen, Schlafen. Die kleinen Dinge im Leben…

Mit der letzten Helligkeit – die Sonne war schon kurz davor untergegangen – begab ich mich auf die letzten Meter. Ohne viel verbleibende Kraft stolperte ich in das Gebäude, das neben sanitären Anlagen aus einer Küche und zwei Matratzenlagern für insgesamt 80 Personen besteht. Die Küche, das stellte ich schnell fest, ist der einzige Raum, der einen Ofen hat. Es ist Winter hier unten. Winter in den Bergen. Wir waren insgesamt zu viert im Hut.

Wenigstens die warme Dusche sollte mich wieder stärken, aber warme Duschen sind da oben Fehlanzeige. Das Wasser ist kalt. Eiskalt. Gebirgsbach-im-Winter-kalt. So kalt, dass man nicht länger als 15 Sekunden darunter stehen kann. Eine kurze Dusche, sehr kurz. Abtrocknen und ab in den Schlafsaal, wo meine Sachen liegen. Nicht wärmer.

Ich packte also meine Essenstasche und bewegte mich in Richtung Küche, wo ich auch die anderen drei traf. Zwei Französinnen und eine Neuseeländerin. Your turn, Hugh. Noch viel angenehmer war aber der Raum an sich. Warm, voll ausgestattete Küche. Ein Paradies.

Es waren zu dem Zeitpunkt vielleicht 10 Minuten vergangen seit ich meinen Rucksack abgelegt hatte. Meine Schultern begannen plötzlich, sich wieder an diesen zur erinnern. Ob es Schmerz wegen der Belastung oder ein tierischer Muskelkater war, weiß ich nicht. Aber es brauchte eine Weile und kontrollierte Bewegung, bis ich meine Fähigkeit zur freien Bewegung wieder erlangte.

Die Nacht verbrachte ich trotz striktem Verbot dazu in der Küche, alles andere wäre Selbstmord gewesen. Gut, so gegen halb 12 ging der Ofen aus und mangels Anzündern oder genügend Papier war es mir nicht vergönnt, ihn wieder an zu machen, aber wenn man schläft, ist das mit der Kälte gar nicht so schlimm. Zudem wollte ich ohnehin um 4.50 Uhr wieder aufstehen, um den Sonnenaufgang von der Spitze der Pinnacles aus zu sehen. Tat ich auch. Scheißidee.

Kurz vor sechs machte ich mich auf den noch gut 50-minütigen Weg. Je höher ich dabei kam, desto mehr viel mir auf, dass es neblig war. Sehr neblig. Vom Sonnenuntergang war so wenig zu sehen, dass ich – wie ich später feststellte – sogar in die falsche Richtung guckte. Der Preis dafür: In der Nacht hatte es geregnet und durch die Dunkelheit konnte ich die ca. 10 Centimeter tiefen Schlammpfützen nicht sehen. Alles Weitere selbsterklärend.

Weil ich ein bisschen spät dran war, sah ich mir den „Sonnenaufgang“ nicht wie geplant von der Spitze an, sondern noch weit darunter. Gut, so denn den letzten Teil der Reise hätte ich besser nicht in der Dunkelheit gemacht.

Schon mein Busfahrer auf dem Weg nach Thames hatte gemeint, dass es auf den letzten Metern ein paar Leitern zu steigen gilt. Unglaubliche Untertreibung. Die letzten Meter waren reine Kletterei, bei der man sich an Steinwänden hochziehen musste. Macht Spaß, ist aber nicht gut für saubere Kleidung. Außerdem bestimmt schöner, wenn die Steine nicht nass und rutschig sind.

Auch dieser Tortur brachte ich hinter mich und kam schließlich nach einem langen Abenteuer an meinem Zielort an. Die Spitze der Pinnacles. Die Aussicht entschädigte für alles. Über die unglaubliche Distanz von 10, vielleicht sogar 20 Metern konnte ich alles sehen. Erst danach hüllten Wolken die Landschaft in Nebel. Die Steine direkt vor mir, die Sträuche neben mir. Was für eine Aussicht! Nochmal: Scheißidee.

Weil ich nicht den ganzen Weg hochgekommen war, um direkt vor mir eine Nebelwand zu sehen, entschied ich mich, oben zu verweilen, bis sich der Nebel verzogen hatte. Ich suchte mir also einen gemütlichen Platz an der Steinwand, an dem ich so mehr oder weniger liegen konnte, zog mir den Strohhut tief ins Gesicht und schlief im wohl abenteuerlichsten Bett, das ich je gesehen hatte.

Eine oder zwei Stunden später wurde ich nicht nur von den gerade ankommenden Französinnen geweckt, sondern auch von – endlich! – den Sonnenstrahlen. Ja, mein Plan hatte tatsächlich funktioniert. Die Wolken hatten sich in die Höhe verschlagen und ein kleines Loch in der Decke ließ sogar kurzzeitig die Sonne durchscheinen. Endlich der Ausblick, für den ich gekommen war. Und ja, es stimmt. Er entschädigte für alles.

Der Abstieg war nicht weniger abenteuerlich als der Aufstieg. Ich entschied mich der Abwechslung wegen für eine ein wenig längere Route, was sich als Fehler herausstellte. Meine Reise führte dieses Mal nicht über Bäche, sondern durch Bäche. Ablaufendes Regenwasser hatte den schlammigen Boden rutschig gemacht, mehrmals verlor ich den Halt. Stürze abfangen ist mit ordentlich Gepäck – das hatte ich bei einem kleinen Zwischenstopp beim Pinnacles Hut wieder mitgenommen – nicht leicht. Irgendwann kam ich unten an. Schmutzig, mit den Kräften am Ende. Zum Schluss noch einen Fluss überqueren und danach endlich wieder zumindest eine Kiesstraße unter den Füßen. Dieses Mal war es Reed, ein High School Schüler, der mich mitnahm und wieder nach Thames transportierte.

Für eine Nacht ins Hostel, heute geht mein Bus Richtung Hot Water Beach. Abschlusswort?

Ich habe bereut es zu tun, bereue aber nicht, es getan zu haben.

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